§78

Auschwitz-Prozess Neubrandenburg

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"Gerechtigkeit nicht zu erwarten"

12.09.2016

In einer Pressemitteilung beziehen die Nebenklagevertreter Stellung zu den Befangenheitsanträgen gegen den Vorsitzenden Richter:

"Presseerklärung der Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Thomas Walther und Professor Dr. Cornelius Nestler im Strafverfahren vor dem Landgericht Neubrandenburg gegen den Angeklagten Hubert Zafke, dem vorgeworfen wird, durch seine Unterstützung des Massenmordes in Auschwitz als Sanitäter Beihilfe zum Mord in 3681 Fällen geleistet zu haben:

In der heutigen Hauptverhandlung haben sowohl der Vertreter der Staatsanwaltschaft als auch die Nebenkläger Walter und William Plywaski den Vorsitzenden Richter Kabisch wegen Befangenheit abgelehnt. Die Befangenheitsanträge verzögern die Durchführung der Hauptverhandlung. Aber die Nebenkläger haben jede Hoffnung aufgegeben, dass es unter diesem Vorsitzenden Richter jemals zu einer Hauptverhandlung kommen kann, die nicht zur Farce verkommt. Gerechtigkeit für sie und ihre ermordeten Angehörigen ist unter diesem Vorsitzenden Richter nicht zu erwarten.

Seit Eingang der Anklage beim Landgericht im Februar 2015 demonstrieren die Entscheidungen des Vorsitzenden Richters der Schwurgerichtskammer, dass er eine Hauptverhandlung gegen den Anklagten mit allen Mitteln verhindern will. Nachdem das Landgericht das Verfahren wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt hatte, wurde vom Oberlandesgericht auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin nach erstmaliger gründlicher Begutachtung des Anklagten dessen Verhandlungsfähigkeit festgestellt und das Verfahren eröffnet. Mit diesem Beschluss des Oberlandesgerichts wurden gleichzeitig unsere Mandanten, Überlebende von Auschwitz, deren Eltern dort unter Beteiligung des Angeklagten ermordet wurden, als Nebenkläger zugelassen. An diese Entscheidung hat sich das Landgericht nicht gehalten, so dass erst wiederum durch Beschwerde vor dem Oberlandesgericht die erneute Zulassung unserer Mandanten durchgesetzt werden konnte. Seitdem wurden unsere Mandanten und wir als ihre Vertreter vielfach unter Verletzung der Fairness des Verfahrens von wesentlichen Verfahrensvorgängen nicht informiert. Weiterhin hat das Gericht die Reise zu dem in den USA lebenden Mandanten nicht genehmigt. Stattdessen verweist das Gericht den 87jährigen und schwerhörigen Mandanten darauf, im Wege einer Videokonferenz mit seinem Anwalt über seine Zeit in Auschwitz und anderen Lagern der SS wie auch über die anderthalbjährige, ständige Verweigerung der deutschen Justiz, ihm Gerechtigkeit zukommen zu lassen, zu konferieren. Diese Verweigerung einer angemessen Kommunikation zwischen dem Nebenkläger und seinem Anwalt, wie sie bislang in allen anderen NS-Verfahren der letzten Jahre problemlos genehmigt wurde, ist ein ungeheuerlicher Vorgang, der zeigt, dass der Vorsitzende Richter in seiner Parteilichkeit für den Angeklagten und in seinem alle seine Entscheidungen leitenden Interesse, die Durchführung einer Hauptverhandlung gegen den Angeklagten zu verhindern, auch den letzten Respekt vor dem Nebenkläger und seinen besonderen Befindlichkeiten verloren hat.

Die Staatsanwaltschaft hat in ihrem heutigen Befangenheitsantrag zusammenfassend zu Recht festgestellt:

Aus der Sicht des Nebenklägers entsteht hier der Eindruck, dass es gar keinen Zweck hat, sich dem Verfahren anzuschließen, weil der ehemalige SS-Mann sowieso vom abgelehnten Richter freigesprochen werden wird und er in dem Verfahren nicht die Illusion haben darf, jemals eine gewisse Reue und ein Schuldeingeständnis vom Angeklagten zu hören, weil der Vorsitzende sich auf eine Rechtsauffassung festgelegt hat, die den Angeklagten bevorzugt und vor allen Vorwürfen und insbesondere der Anklageschrift schützt.

Im Zusammenhang mit der Tatsache, dass das Gericht und damit der abgelehnte Richter bei der Planung der Hauptverhandlung nur Vorkehrungen dafür trifft, über die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten zu verhandeln, er aber in keiner Hinsicht erkennen lässt, dass er sich der Tat- und Schuldfrage nähern will, hinterlässt dies insgesamt den Eindruck, dass der abgelehnte Richter die zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage nicht verhandeln will und er den Angeklagten für unschuldig hält.

Dass der abgelehnte Richter dann dem Nebenkläger auch noch bei der Frage, ob seinem Rechtsanwalt eine Informationsreise zu genehmigen ist, ein unzulässiges Rechtsmittel empfiehlt, wirkt aus Sicht des Nebenklägers verstörend und vermittelt ihm, dass er in dem Verfahren eigentlich unerwünscht ist, der abgelehnte Richter ihn von der Hauptverhandlung fernhalten will und der abgelehnte Richter sich nicht ernsthaft mit ihm und den ihm zustehenden Rechten beschäftigen will.

Rechtsanwalt Thomas Walther (Kempten)
Professor Dr. Cornelius Nestler (Königstein)"

Abschrift des schriftlich vorgelegten Ablehnungsantrags des Nebenklagevertreters RA Thomas Walther vom 09.09.2016